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Abbildung 1: Am Walensee warfen viele Laubbäume im August 2018 aufgrund der starken Trockenheit ihre Blätter ab. Foto: Andreas Rigling, WSL

ZeitschriftenLesezeit 2 min.

Waldbau im Klimawandel: Einfach weiter wie bisher?

In einem Beitrag in der Augustausgabe von «Wald und Holz» argumentierte eine Autorengruppe, dass sich der Wald mit dem bisherigen naturnahen Waldbau an den Klimawandel anpassen lässt. Der aktuelle Forschungsstand verlangt eine andere Schlussfolgerung.

Von Peter Brang* | Der trocken-heisse Sommer 2003 schwächte viele Waldbäume in der Schweiz, doch in der Folge starben fast nur Fichten ab, meistens in Zusammenhang mit Borkenkäferbefall. Der trockene Sommer 2018 dagegen führte erstmals verbreitet zum Tod vieler Bäume (Abbildung 1). Betroffen waren vor allem Fichten, Buchen und Tannen in der Nordwestschweiz. Dass es dazu kommen würde, war spätestens aufgrund der Ergebnisse des Forschungsprogramms «Wald und Klimawandel» im Jahr 2016 klar; dass es schon so bald eintreffen würde, war eine negative Überraschung. Ein Blick über die kleine Schweiz hinaus zeigt, dass Waldschäden in den letzten Jahrzehnten im nahen und fernen Ausland beunruhigende Ausmasse angenommen haben. Dieser Trend ist insgesamt eine eindeutige Folge des globalen Klimawandels. 

Auswirkungen begrenzen 

Seit über 30 Jahren unternimmt die Wissenschaft grosse Anstrengungen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu verstehen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Der Klimawandel schreitet fort (vergleiche Abbildung 2), anders als das «Waldsterben» der 1980er-Jahre, das sich wegen einer scharfen Umweltgesetzgebung nicht fortgesetzt hat. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wälder werden sich durch Massnahmen höchstens noch begrenzen lassen. Deshalb wurden unter anderem waldbauliche Anpassungsprinzipien und differenzierte Baumartenempfehlungen (zum Beispiel Tree-App) entwickelt, welche die Waldstandorte und den Klimawandel berücksichtigen. 
Die Förster haben begonnen, diese umzusetzen, in den allermeisten Fällen vorsichtig und pragmatisch. 

Im Augustheft von «Wald und Holz»   lesen wir von Jean-Philippe Schütz und Mitautoren, dass Femelschlag, Naturverjüngung, heimische Baumarten und feine Baumartenmischungen als Antwort auf den Klimawandel ausreichen. Waldbäume wie die Buche seien genetisch so breit aufgestellt, dass sie sich gut anpassen könnten. Die Baumartenzusammensetzung werde sich nicht wesentlich ändern. Die Unsicherheit bezüglich der Entwicklung von Extremereignissen sei so gross, dass präventives Handeln im Wald unnötig und ineffizient sei. Ihre Schlussfolgerung lautet: «Es gibt eigentlich waldbaulich nichts Neues». Ist also alles viel Lärm um nichts, 
ein «Klima-Hype»? 

Gefährliche Verharmlosung

Wir sind mit einigen der waldbaulichen Schlussfolgerungen von Schütz und Mitautoren einverstanden: Der naturnahe Waldbau muss nicht auf den Kopf gestellt werden – aber fordert das in der Schweiz jemand? Auch sind Naturverjüngung und ein Waldbau, der den aktuellen Bestand und den Standort differenziert berücksichtigt, geeignet, um die Baumartenvielfalt in den Wäldern zu fördern. Dazu sind im Femelschlag zuweilen auch grössere Lücken nötig, die auch zukunftsfähigen Lichtbaumarten das Aufwachsen erlauben. Es geht dabei aber nicht nur um Vielfalt, sondern auch um die Beteiligung zukunftsfähiger Baumarten.

Leider sind jedoch etliche der im genannten Beitrag angeführten Argumente wissenschaftlich unhaltbar. Der aktuelle Kenntnisstand wird ignoriert, was die Klimaentwicklung und die Anpassungsfähigkeit der Baumarten betrifft. Insgesamt verharmlost der Beitrag die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Waldleistungen und unterschätzt den 
Handlungsbedarf deutlich.

Stärkere Trockenperioden sind ein Fakt 

Es wird behauptet, dass Extremereignisse wie zum Beispiel Trockenperioden unvorhersehbar seien. Doch die Klimawissenschaft zeigt klar auf, dass mit immer häufigeren und extremeren sommerlichen Trockenperioden zu rechnen ist.  Es wird immer wahrscheinlicher, dass mehrere trockene Sommer aufeinanderfolgen. Dies bei der Baumartenwahl zu ignorieren, wäre ein krasser fachlicher Fehler. Wenn Buchenbestände wegen Trockenheit absterben, wie das 2018 und 2019 in der Nordwestschweiz und noch verbreiteter in Deutschland geschehen ist, dann ist es naiv, ausschliesslich auf rasche Erholung zu hoffen. Entgegen den Aussagen von Schütz und Co-Autoren ist es durchaus vertretbar, aus massiven Schäden Schlussfolgerungen für die zukünftige 
Baumartenwahl zu ziehen, bis hin zum lokalen Ersatz einer Baumart. Gehört das nicht 
auch zu den grossen Freiheiten, die den Femelschlag auszeichnen?

In den letzten Jahren geschaffene Fachgrundlagen wie etwa die zu erwartenden Verschiebungen der Vegetationshöhenstufen (vgl. «Tree App») unterstützen die Waldfachleute beim Entscheiden, wo dies mit welcher Priorität ins Auge zu fassen ist. 

Begrenzte Anpassungsfähigkeit der Bäume

Baumpopulationen sind meist genetisch divers. Das erlaubt es ihnen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Allerdings ging die klimatische Veränderung noch nie so schnell vor sich wie in diesem Jahrhundert: Die Erwärmung nach der letzten Eiszeit um weltweit etwa drei Grad dauerte etwa 3000 Jahre. Jetzt müssen die Ökosysteme ähnliche oder noch grössere Veränderungen innerhalb von weniger als 100 Jahren absorbieren – und sie sollten dabei möglichst kontinuierlich Waldleistungen liefern. Auf die vergangene Erwärmung haben die Baumarten oft mit Wanderung in neue Habitate reagiert, und nicht nur mit Anpassung am Wuchsort. Es ist unsicher, wie stark sich lokal vorhandene Individuen und Populationen anpassen können. Es ist auch sehr gewagt, sich darauf zu verlassen, dass es im genetischen Pool einer Baumart Individuen gibt, die viel wärmere und trockenere Verhältnisse ertragen. Falls solche Individuen am trocken-warmen Rand des Verbreitungsgebiets der Baumart tatsächlich vorkommen – wie sollen diese Gene von alleine innert weniger Jahrzehnte 
zu uns «wandern»? 

Betrachtungen zur Jungwaldpflege

Die Naturverjüngung durch Pflanzung 
klimatisch vorangepasster Herkünfte der gleichen Baumart anzureichern, ist durchaus bedenkenswert, obwohl Langzeiterfahrungen damit fehlen. Eine reiche Erfahrung haben wir aber damit, die Baumartenmischung mit Pflanzungen zu fördern. Vergangene Pflanzungen sind nicht nur heutige Problemfälle (zum Beispiel Fichtenreinbestände), sondern auch klimatisch vorangepasste Glücksfälle (zum Beispiel Eichenbestände).

Nicht überall stellt sich eine reiche Naturverjüngung zukunftsfähiger Baumarten ein. Ergänzende Pflanzungen sind eine wirksame Handlungsoption, um die Wälder klimafit zu machen  Diese dürften meist punktuell sein, weil man die Naturverjüngung weiterhin nutzen kann und will. Dabei nur heimische Baumarten zu verwenden, halten wir für eine fachlich nicht zu rechtfertigende Beschränkung des Handlungsspielraums. Wir haben in der Schweiz Erfahrungen mit Gastbaumarten wie der Douglasie und sollten uns weitere Optionen offenhalten.

Auch die Jungwaldpflege muss angepasst werden. Wir sollten nicht nur die vitalsten Individuen fördern, sondern auch besonders zukunftsfähige, aber heute noch konkurrenzschwache Baumarten.  Diese können wesentlich zu den zukünftigen Waldleistungen beitragen und sich in einigen Jahrzehnten natürlich verjüngen. Ganz unerwähnt bleibt bei Schütz und Mitautoren zudem der teils sehr starke Einfluss von Schalenwild, der zukunftsfähige Baumarten auf grossen Flächen nicht aufwachsen 
lässt (Abbildung 3).

Wir weisen auch darauf hin, dass der Beitrag von Schütz – ohne das zu deklarieren – sich ausschliesslich auf die Wälder im Mittelland und Jura bezieht. Im Gebirgswald und besonders in den Regionen mit starker Fichtendominanz dürften die Auswirkungen des Klimawandels noch folgenschwerer sein, besonders in Schutzwäldern, und die Handlungsmöglichkeiten weitaus kleiner, weil weniger Baumarten zur 
Verfügung stehen. 

Der zukünftige naturnahe Waldbau

Wir sollten den Klimawandel nicht unterschätzen und waldbauliche Anpassungen nicht mit Verweis auf die zweifellos bestehenden Unsicherheiten vertagen. Die Devise im naturnahen Waldbau kann nicht mehr «weiter wie bisher» lauten. Mehr Vielfalt bei den Baumarten reicht nicht aus – es müssen zukunftsfähige Arten darunter sein. 

Nötig ist weiterhin ein naturnaher Waldbau, aber dieser muss die ganze waldbauliche Massnahmenpalette zielorientiert, offen, kreativ und mutig einsetzen. Ziel muss sein, den Schweizer Wald innert weniger Jahrzehnte an das zukünftige Klima anzupassen. Nur so lassen sich die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für die Waldleistungen möglichst gering halten.

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